Software folgt auf Strom – neue Chancen durch Wandel im Automotive-Sektor

Innovative Ausrufezeichen kamen in der Autoindustrie lange Zeit nicht aus Deutschland. Jetzt aber katapultieren sich deutsche Unternehmen bei den Zukunftsthemen der Mobilität an die Spitze. Dabei steht das Thema Software ganz oben auf der Agenda. Was heißt das konkret?

Wird das Auto zum „Smartphone auf Rädern“? Entwickeln sich die Fahrzeughersteller zu IT-Konzernen? Welche neuen Anforderungen ergeben sich hieraus für Zulieferunternehmen und deren Mitarbeiter? Viele Fragen rund um ein hochaktuelles Thema, welches Experten und Entscheider der Branche anlässlich des business:forums Automotive 2022 der Commerzbank lebhaft diskutierten.

System-Engineering für hochkomplexe Fahrzeuge, die konnektiv und autonom unterwegs sein werden, funktioniert nicht mehr mit klassischen Entwicklungs-Silos nach Gewerken, wie zum Beispiel Karosserie, Fahrwerk, Antriebsstrang. Bei der Entwicklung von software-defined cars wird die Überwindung dieses Silo-Denkens zum Erfolgsfaktor für Hersteller und Zulieferer. Darin sind sich alle Referenten des business:forums einig. Und nicht nur bei der Organisation der Entwicklung ist neues Denken in der Branche gefragt. Auch das Fahrzeug an sich wird in der Zukunft keine Insellösung auf der Straße und im Verkauf sein.

„Das Auto von morgen ist ein Subsystem der Mobilität.“

Anatol Siegel, Vice President Strategy and Corporate Development, Bertrandt AG

„Innovation entsteht zunehmend interdisziplinär und in Kooperation mit Partnern.“

Dr. Ralf Klein, Director – Cloud Transformation & Distributed Ledger Technology, Commerzbank AG

„Im Wettbewerb um Software-Talente tritt ein Mittelständler von der Schwäbischen Alb gegen das Silicon Valley an.“

Oliver Henkelmann-Mattheus, Vice President Sales & Marketing, RAPA Automotive GmbH & Co. KG

„Ziel der Unternehmen sollte es sein, Ökosysteme zu gewinnen.“

Georg Kopetz, Co-Founder und CEO, TTTech Auto

„Die zweite Transformation der Branche beschleunigt nochmals das Tempo des Wandels.“

Martin Büchs, Geschäftsführender Gesellschafter, JOPP Holding GmbH

„Die Zukunft der Zusammenarbeit ist transdisziplinär statt nur interdisziplinär.“

Prof. Johann Tomforde, Geschäftsführender Gesellschafter der TEAMOBILITY GmbH

„Die Aufbruchsstimmung zum Software-defined Car bietet dem Mittelstand eine neue Chance für echtes Unternehmertum.“

Peter Fuß, Moderator, Senior Advisory Partner Automotive GSA, EY

Führend dürfte ein smartes Ökosystem der Mobilität sein, in dem vernetzte sowie mehr und mehr autarke Fahrzeuge ihre Stärken einbringen. Innovation ist also weiter erfolgsentscheidend für die Unternehmen, auch nach der ersten Transformation der Branche – der Elektrifizierung des Antriebs. Stillstand bedeutet Rückschritt im Wettbewerb. Wie aber kann man Innovationsführer werden oder bleiben, wenn Softwareentwicklung und -integration entscheidende Skills sind?

Um die eigene Wettbewerbsposition dauerhaft zu sichern sind nach übereinstimmender Ansicht der Podiums-Teilnehmer Offenheit und Kooperation wesentlich – zum Beispiel in Form von Partnering-Modellen auch mit Start-ups, durch die Beteiligung an einem Software-Unternehmen oder durch die erfolgreiche Rekrutierung, Ausbildung und Bindung der raren Fachkräfte. Denn nur smarte Köpfe entwickeln smarte Lösungen für smarte Unternehmen.

Im „war for talents“ wird es jedenfalls nicht ausreichen, nur den Speiseplan der Kantine aufzupeppen. Doch auch und gerade der Mittelstand kann attraktive Rahmenbedingungen für Talente bieten: Sei es die frühe Bindung durch eine Ausbildung – mit dem persönlichen iPad inklusive, durch ein arbeitgeberfinanziertes duales Studium, durch die inzwischen geübte Möglichkeit im HomeOffice zu arbeiten oder durch eine Unternehmenskultur, die die frühe Übernahme von echter Verantwortung fördert.

Akteuren, denen es gleichzeitig gelingt, nicht nur die eigene traditionelle Suppe zu kochen, dürfte die Zukunft gehören. Klavierlack, Spaltmaße und 600-PS-Sound werden nicht länger im Fokus der Käufer und Nutzer bleiben, sondern eine wirklich intuitive Bedieneroberfläche, hohe Zuverlässigkeit und reibungslose Konnektivität. Die Erreichung höchster Qualitätsziele vor dem Produktionsstart gehört ja durchaus zu den Stärken der deutschen Automobilindustrie. Für die Unternehmen gilt es, dies im Rahmen der zweiten Branchentransformation auf das Software-Engineering zu übertragen.

Gleichzeitig steigt das Innovations-Tempo. Um hierbei zu punkten, könnten Zulieferer den direkten Zugang zu den Herstellern suchen und die Tier-1-Unternehmen überspringen. Klingt anspruchsvoll? Das ist es auch – aber aus Sicht aller Experten im business:forum Automotive erfolgversprechend und möglich. Zumindest, wenn die mittelständischen Unternehmen auch finanziell für diese Transformation gerüstet sind. Immerhin floss viel Geld in die Investitionen im Rahmen der ersten Transformation.

Auch in Zukunft ist also weiter unternehmerischer Spirit in Verbindung mit völlig neuen Ideen gefragt – für Ziele und Wege, die dorthin führen. Ganz gleich, ob etablierter Mittelständler, Start-up, Spin-off oder Scale-up – für alle gilt: Grenzüberschreitendes Entwickeln sowie Premiumanspruch bei Sicherheit und Nachhaltigkeit weisen den Weg in die nächste (Auto-) mobile Ära. Wer deren Ökosysteme mitgestalten kann, dürfte im Wettbewerb die Nase vorn haben. Wer Inspiration zur Innovation sucht, nimmt aus dem business:forum den Tipp mit, sich mit der israelischen Start-up-Szene zu vernetzen, in der scheinbar nichts „schon immer so“ gemacht wurde, die aber zugleich in KI und digitaler Transformation weit vorne ist!

In dieser Aufbruchsstimmung liegen enorme Chancen für die mittelständischen Unternehmen hierzulande. Um diese für sich zu nutzen, muss es ihnen vor allem gelingen, über den Tellerrand historischer Silos und Herangehensweisen hinaus zu denken – und zu handeln.

Frank Mäder (Sektorkapitän Automotive, Commerzbank AG) ist sich am Ende des digitalen Branchentreffens sicher, dass es den deutschen Autoherstellern und -zulieferern so gelingen wird, smarte Wow-Effekte in die Fahrzeuge für die Mobilitätskonzepte von morgen zu integrieren. Und damit im internationalen Vergleich weiter eine Spitzenposition einzunehmen.